„Gute Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe sind die beste Entwicklungshilfe“

09.11.2017

„Gute Wirtschaftsbeziehungen auf Augenhöhe sind die beste Entwicklungshilfe“

 „Ich habe Glück gehabt, und das sage ich mir jeden Morgen“,  so Asfa-Wossen Asserate.  1968 kam der Unternehmensberater, Bestsellerautor und politische Analyst als Student nach Deutschland und musste wenige Jahre später aus der Ferne erleben, wie seine Eltern und seine sechs Geschwister in Äthiopien inhaftiert wurden. Kurz darauf wurde sein Vater als Angehöriger des äthiopischen Kaiserhauses ohne Prozess hingerichtet. „Ich war ein Verfolgter, wie er im Buche steht, aber kein typischer Flüchtling“, sagte, als er vor der Oberstufe der Zinzendorfschulen und Gästen  im Kirchensaal einen Vortrag hielt:  „Ich musste mich nicht in die Hand von Schleusern begeben, nicht in Flüchtlingslagern ausharren und in die völlige Fremde gehen.“ Durch den Besuch der Deutschen Schule in Addis Abeba waren ihm Kultur und Sprache vertraut, binnen einer Woche nach dem Militärputsch in seiner Heimat war sein Asylantrag genehmigt, sieben Jahre später bekam er die deutsche Staatsangehörigkeit.
Damals habe es weltweit acht politische Flüchtlinge aus Äthiopien gegeben, heute sind es 2,5 Millionen. „Jeder 113. Mensch auf dieser Welt ist heute auf der Flucht“, zitierte Asfa-Wossen Asserate Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, und die meisten von ihnen kämen aus Afrika. „Aber warum verlassen Menschen ihre Heimat?“ fragte er und gab die Antwort gleich selbst: „Der Grund ist die Bevölkerungsvermehrung. Die Zahl der in Afrika lebenden Menschen wird sich Schätzungen zufolge bis 2050 verdoppeln, weil dort jede Frau durchschnittlich fünf bis sieben Kinder bekommt.“ Das sei in Deutschland bis vor 150 Jahren nicht anders  gewesen, denn auch sie seien die Altersvorsorge ihrer Eltern gewesen. „Das hat sich nach Einführung der Sozialgesetze sofort geändert.“  Wie in Botswana, dem einzigen Land Afrikas, in dem jeder Bürger eine Krankenversicherung hat und Rente bekommt: Dort ist die Geburtenrate von 6,64 im Jahre 1970 auf 2,8 (2015) gesunken.
Das Problem Afrikas sei nicht die Armut: „Afrika ist reich, die Länder sind reich an Rohstoffen, Bodenschätzen und jungen Arbeitskräften“, sagte er.  Für das kommende Jahr werde ein Wirtschaftswachstum von 6 Prozent vorhergesagt, die Unternehmensberatung McKinsey spräche über afrikanische Länder - analog zum asiatischen Tiger - von „Lions on the Move“  (Löwen in Bewegung).
„Die Nachfrage nach Rohstoffen boomt, und viele Länder Afrikas haben in China einen neuen Handelspartner gefunden.“ Das Handelsvolumen sei innerhalb von 20 Jahren von einer auf 220 Milliarden Euro sprunghaft gestiegen. In Afrika hätten derzeit 6000 chinesische Firmen eine Niederlassung. „Es ist eine neue Kolonialisierung“, warnt der promovierte Historiker. Die Firmen nähmen sich die Bodenschätze und überfluten die Märkte mit billigen Industrieprodukten wie Handys, deren Akkus keine zwei Wochen halten oder T-Shirts, die nach der ersten Wäsche auseinanderfallen. „Sie interessieren sich nicht für Nachhaltigkeit.“
Auch die Handelspolitik der EU prangert Asfa-Wossen Asserate an: Die europäische Agrarindustrie exportiere billige Hähnchenschenkel, die in Europa unverkäuflich sind, weil hier jeder nur Hähnchenbrust kauft, nach Afrika. Ganze Hähnchen verkaufen sie für 90 Cent, während alleine die Produktionskosten in Westafrika beim Doppelten liegen. Die Märkte in Afrika seien voll mit EU-Tomaten, so dass beispielsweise die Bauern in Ghana ihr Gemüse nicht mehr verkaufen können. „Es ist eine Invasion der Billigkonserven, daneben stehen Frühstücksflocken aus Deutschland und Milchpulver aus Dänemark.“ Viele ghanaische Bauern arbeiten als Erntehelfer in Apulien – für einen Hungerlohn. Sie leben in Ghettos und werden als Italiens neue Sklaven betitelt. „Auch die besten Absichten können fatale Folgen haben.“
Wie etwa die Hilfszahlungen aus Europa. „Das Problem sind korrupte alte Männer.“ Mehr als zwei Drittel der Wirtschaftshilfe sei in Form von Schweizer Konten oder französischen Schlössern wieder in Europa gelandet. Europa müsse endlich Schluss machen mit der fatalen Appeasement-Politik gegenüber Afrikas Potentaten. Dabei gehe es nicht darum, den Regierenden vorzuschreiben, wie sie ihr Land zu regieren haben oder ihnen das Staatsmodell der westlichen Demokratien zu oktroyieren. Aber Regierungen, die das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit missachten und die Menschenrechte mit Füßen treten, verdienen keine Unterstützung." Europa  müsse seine Afrikapolitik ändern.
„Wenn ich mit einem Satz formulieren müsste, wie man die Migration eindämmen könne, so hieße er: ´ Wenn jedes Jahr in Afrika 20 Millionen neue Jobs entstehen´“, so Asfa-Wossen Asserate. Dazu müssten europäische Firmen motiviert werden, sich in Afrika niederzulassen, was jedoch vielen Mittelständlern verständlicherweise zu riskant sei. „Daher meine Bitte an die neue Regierung in Berlin: Übernehmen Sie Hermesbürgschaften für Afrika unter der Bedingung der Nachhaltigkeit!“ Auch den Schülern gab Asfa-Wossen Asserate eine Botschaft mit auf den Weg: „Ich setze große Hoffnung in eure Generation.“  
Im Anschluss an den klugen, nachvollziehbaren, mit Fakten gespickten und äußerst spannenden Vortrag beantwortete er noch im kleinen Kreis bei Kaffee und Kuchen Fragen. So wollten Schüler etwa wissen, wie sich die Schulen in Äthiopien und in Deutschland unterscheiden, welche Hobbys er hat oder wie er zum Schreiben gekommen ist. Er berichtete von seiner Zeit in der Deutschen Schule in Addis Abeba und von seinen Erinnerungen an seinen Großonkel Haile Selassie, den letzten Kaiser Äthiopiens. „Er war wie ein strenger Großvater, der von uns Kindern immer wissen wollte, wie wir in der Schule waren.“
Info: Das aktuelle Buch von Asfa-Wossen Asserate, welches die Themen des Vortrags behandelt, heißt „Die neue Völkerwanderung - Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten“ und ist vor einem Jahr bei Propyläen erschienen. ISBN: 978-3-549-07478-7

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