„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“

16.11.2013

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“

Was für eine wundervolle Inszenierung! Was für tolle schauspielerische Leistungen! Die Woyzeck-Premiere der Theater-AG  der Zinzendorfschulen entließ das Publikum im Haus des Gastes mit der Gewissheit in die kalte Herbstnacht, etwas ganz Besonderes erlebt zu haben. „Sie haben nicht einfach nur gespielt, sie waren auf der Bühne die Figuren ihrer Rollen“, sagte der Schulleiter Br. Treude, der schon von der Generalprobe begeistert gewesen war und sich auch den Besuch der Premiere nicht nehmen ließ.


Unter der Regie des Zehntklässlers Maximilian Holm haben neun Schülerinnen und Schüler der Oberstufe der Gymnasien und der Realschule das Fragment des vor 200 Jahren geborenen hessischen Literaten Georg Büchner frisch, aber immer noch deutlich am Text inszeniert.


Es beginnt mit einem rennenden Woyzeck (Maximilian Schaible). Er rennt und rennt und rennt bis zur Erschöpfung und bricht schließlich in ein verzweifelt-hysterisches Lachen aus, das erst durch die Doktorin (Alina Maier) beendet wird, die an ihm immer wieder herumexperimentiert und ihn bis zur Halluzination mit Erbsen vollstopft.


Der Tamburmajor (Leon Dannert) und der Unteroffizier (Jonas Buchholz) kommen und Woyzeck muss wieder laufen. Der Tamburmajor sieht eine Frau und gerät ins Schwärmen. Als Woyzeck ihm sagt, dies sei seine Geliebte und Mutter seines Sohnes, Marie (Miriam Dannert), erntet er nur Spott. Was wolle ein schönes Weib wie dieses schon von einem Kerl wie Woyzeck. Er versucht, sie auszuspannen – „in meinem Bett ist immer Platz für Dich“ – und kurz darauf beobachtet Woyzeck, wie Marie tatsächlich dem plumpen Werben nachgibt.


Zwar leugnet sie, aber Woyzeck stellt fest: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie.“ Zum Schluss steigert er sich immer mehr in den Verrat hinein, der sich mit Wahnvorstellungen vermischt, tötet die Doktorin, den Hauptmann (Lukas Ebner) und den Tamburmajor, und schließlich –nach einem letzten Walzer – auch Marie. Inmitten der Leichen hantiert die blutverschmierte Titelfigur gefühlte bedrückende Minuten lang mit einer Pistole, doch der Schuss fällt erst Sekunden nach dem Vorhang.


Die Inszenierung hat eine klare Handschrift, geschickt hat Maximilian Holm die unsortierten Kapitel des Fragmentes zu einer bedrückenden Bühnengeschichte verknüpft und die Dramatis Personae sachte auf die neun Darsteller zusammengestrichen, die alle vom Moment ihres ersten Auftrittes an auf der Bühne blieben.


Das stete Rennen der Titelfigur ist ein raffinierter Weg, um Woyzecks Zerrissenheit zu zeigen, die Tom-Waits-Songs aus dem Off und die Verse des Narren (Tizian Hoffmann) tragen ihren Teil dazu bei. Das Spiel mit Licht und Schatten (der Theaterpädagoge Götz Knieß hatte die Technik übernommen), das Woyzeck den Betrug Maries im Schattenspiel zeigt, war ein gelungenes Stil-Element.


Doch was wären tolle Regie-Einfälle ohne Schauspieler, die sie auch umsetzten? Die Darsteller, vor allem in den textlastigen Hauptrollen, aber auch in den kleineren Rollen von Andres (Johannes Volz), Margreth (Katharina Jacobi) und dem Unteroffizier (Jonas Buchholz) überzeugten allesamt und es wäre nicht verwunderlich, wenn man den einen oder anderen Namen, der in dem – ebenfalls vom Regisseur    sehr souverän gestalteten Programmheft auftaucht,  später einmal im Kontext einer professionellen Bühne begegnen würde.

Weitere Bilder

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, Marie“