Klinik-Chef Jürgen Rockwell-Kollmann informiert über Magersucht

03.07.2014

Klinik-Chef Jürgen Rockwell-Kollmann informiert über Magersucht

Einer aktuellen Studie des Robert-Koch-Instituts zufolge leiden mindestens zwischen einem und drei Prozent aller jungen Mädchen an Anorexie, die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Diese auch Magersucht genannte Essstörung endet in fünf bis zwölf Prozent aller Fälle tödlich. Grund genug für alle, die mit jungen Menschen zu tun haben, sich mit diesem Krankheitsbild auseinanderzusetzen. Die Schulleitung und der Elternbeirat der Zinzendorfschulen hatten daher am Mittwoch den Direktor Klinik für Psychotherapeutische Medizin am Schwarzwald-Baar-Klinikum, Jürgen Rockwell-Kollmann eingeladen, im Haus Katharina von Gersdorf über Magersucht und den Umgang mit Erkrankten zu sprechen.
Im Dialog mit den Zuhörern, von denen viele als Angehörige betroffen waren, stellte sich heraus, dass die Machtlosigkeit der Magersucht gegenüber eines der wichtigsten Themen ist. Die Erkrankten sind nicht bereit, Hilfe anzunehmen, da sie ihre Krankheit verleugnen und die Konsequenzen ihrer Essensverweigerung bis hin zum veränderten Hormonhaushalt nicht als Problem, sondern als Erfolg betrachten.
„Eines der Symptome der Anorexie ist auch eine Körperschemastörung“, berichtete der promovierte Mediziner. „Wenn Magersüchtige den Umriss ihres eigenen Körpers zeichnen sollen, vergessen sie oft ihre Arme und Hände, aber sie merken es nicht. Selbst wenn man sie fragt, ob nicht etwas bei dem Bild fehlt, sehen sie es nicht.“
Nicht jeder Mensch, der sehr dünn ist, leide gleich unter Magersucht, jedoch solle man ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 19 oder 18 und darunter genauer hinsehen, so Jürgen Rockwell-Kollmann. Ein BMI von 17,5 und weniger gelte als anorektisch, ab einem BMI von 14 und darunter befinde sich der Körper in einem chronischen Hungerzustand, in dem die Körperfunktionen durcheinander geraten und auch kein Gefühlsleben mehr existiere.
Die Krankheit macht es für Angehörige, Freunde, Lehrer und Ärzte besonders schwer, mit den Patienten in einen Dialog zu treten. Zum einen leugnen sie - wie es für eine Sucht typisch ist -  ihre Erkrankung, zum anderen lassen sie meist niemanden mehr an sich heran. „So wie die Patienten mit sich und dem Essen umgehen, so gehen sie auch mit Beziehungen um“, sagte der Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Die Kranken sehen den Verdauungsvorgang symbolisch für zwischenmenschliche Beziehungen. „Sie haben panische Angst davor, Beziehungen einzugehen und genauso große Panik davor, Nahrung aufzunehmen“, erklärte er die Wahnstörung.
Eine Zuhörerin wollte wissen, ob die Tendenz zur Magersucht „ansteckend“ sei im Sinne von Nachahmung im Freundeskreis. Genetische Veranlagung ist jedoch laut Rockwell-Kollmann der  wahrscheinlichere Grund einer Anorexie. Er berichtete von Studien mit eineiigen Zwillingen, die in einem unterschiedlichen Umfeld aufwuchsen. Bei der Hälfte aller Magersüchtigen war der Zwilling an der gleichen Essstörung erkrankt.
Jürgen Rockwell-Kollmann gab seinen Zuhörern noch einige Tipps für den Umgang mit Magersüchtigen mit auf den Weg. Ganz wichtig sei es, sich vor dem Gespräch über die Krankheit zu informieren. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass die Kranken jede Gewichtszunahme als eine Niederlage erleben. Man dürfe nicht auf eine Einsicht hoffen, eine gute Strategie sei, das Problem im Gespräch langsam einzukreisen. „Alles in allem ist es auf keinen Fall eine Erkrankung des Trotzes oder des bösen Willens.“

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