„Krieg kann niemals eine Lösung sein“

11.11.2014

„Krieg kann niemals eine Lösung sein“

Wenige Monate, nachdem im jüngsten Gaza-Krieg die Waffenruhe ausgerufen wurde, berichtete die Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser in Königsfeld vom Leben in Palästina. Eine gute Woche vor dem Buß- und Bettag, zu dem  Schulpfarrer Br. Fischer immer einen besonderen Referenten einlädt, kam sie in den Kirchensaal, wo sie vor rund 300 Schülerinnen und Schülern der Oberstufe und der Fachschulen der Zinzendorfschulen sprach. Am Vorabend war sie bereits im Helene-Schweizer-Saal gewesen. Die Vorträge waren gemeinsam von den Zinzendorfschulen, dem Eine-Welt- Laden Ujamaa und der evangelische Gesamtgemeinde organisiert.


„Ich freue mich, hier zu sein, denn ich liebe die Jugend“, begrüßte die promovierte Naturwissenschaftlerin und Erziehungswissenschaftlerin ihr aufmerksames Publikum, dem sie zunächst erklärte, dass die verschiedenen Religionen nicht das Problem im Nahen Osten seien. „Religion wird dazu benutzt, die Politik zu rechtfertigen“, sagt die Christin, die in den 1960er Jahren nahe Bethlehem eine Internatsschule der Diakonissen besucht hatte.


Der Islam, das Christentum und das Judentum seien einander sehr ähnlich, sie stimmten zu 90 Prozent überein und dass sie alle existierten, sei von Gott gewollt. „Wir glauben alle an denselben Gott und dieselben Propheten.“ Moslems, Christen und Juden hätten die gleichen Werte, ihre Religionen basierten alle auf Liebe, Versöhnung, Menschlichkeit und  Vergebung. Über einen langen Zeitraum hätten auch Angehörige dieser drei Religionen in der Region friedlich nebeneinander gelebt. Wichtig sei der Respekt vor den Unterschieden der anderen Religionen. Alle glaubten, es sei ihr Land, so Sumaya Farhat-Naser, die das Recht der Juden auf einen Staat betonte und zugleich generell die Idee von Nationalstaaten als problematisch zeichnete, denn „Nationalismus ist immer gegen andere ausgelegt.“


Sie zeigte anhand von historischen und aktuellen Karten der Region die palästinensischen Gebiete, die im Laufe der Jahrzehnte immer kleiner wurden. Die israelischen Siedler im Westjordanland hätten ihr eigenes, gut ausgebautes Straßennetz, welches die Palästinenser nicht benutzen dürfen. Für Strecken von 100 Kilometern bräuchten Palästinenser wegen ihrer eigenen schlechten Straßen und die zu passierenden Checkpoints bis zu 25 Stunden, den Flughafen von Tel Aviv, der von ihrem Wohnort nahe Ramallah eigentlich in einer halben Stunde zu erreichen sei, dürfe von Palästinensern nicht genutzt werden.


„Wer im Ausland studiert, kann nicht zurück, wer einmal das Land verlässt, muss bestimmte Termine einhalten, sonst darf er nicht wieder einreisen“, schilderte  Sumaya Farhat-Naser. Sie berichtete von Menschen, die durch einen Autounfall in Amerika, fehlendes Geld für einen Flugticket oder einen Irrtum den Termin verpassten und so nicht wieder nach Hause dürfen.


Jeder habe seine Geschichte, und müsse daher lernen, mit seiner Wut und Verzweiflung umzugehen. Allein im jüngsten Nahost-Krieg wurden 2800 Menschen getötet, 30000 Häuser, 71 Schulen und 30 Moscheen zerstört, berichte sie. „Und was haben wir davon? Noch mehr Wut. Krieg kann niemals eine Lösung sein.“


Als Friedensstifter spricht Sumaya Farhat-Naser allen Frauen eine besondere Rolle zu und berichtet von einer Situation an einem der Flying Checkpoints, an denen israelische Soldaten mit einem Jeep eine Straße sperren. Wer diese Kontrollpunkte passieren will, müsse oft stundenlang in der prallen Sonne ausharren. Dass sich dabei die Stimmung aufheizt, sei nicht verwunderlich.


Sie habe einmal miterlebt, wie sich an einem solchen Flying Checkpoint ein Palästinenser sein Hemd aufgerissen hatte, die Arme ausbreitete und einem Soldaten „Dann schieß doch!“ zurief. Der Soldat habe sein Gewehr schon auf die nackte Brust des Palästinensers gerichtet, als sie sich zwischen die beiden Männer gestellt hatte und dem Soldaten sagte: „Ich kenne deine Mutter“. Sie kannte sie natürlich nicht, „aber ich bin auch eine Mutter weiß, wie Mütter sind. Durch unsere Menschlichkeit können wir die Menschlichkeit der anderen erwecken.“ Mit ihrer Aktion habe sie den Soldaten so verwirrt, dass er seine Waffe zum Boden senkte und sich wegdrehte.


Die Friedensaktivistin sprach von einem „wunderbaren Kern, einem Diamanten“, den jeder Mensch in sich trage. „Es liegt an uns, diesen Diamanten zum Glänzen zu bringen.“ Diese Einstellung helfe dabei, auf Provokationen angemessen zu reagieren und zwar weder, indem man sie ignoriert, noch indem man sie erwidert. Das eine raube einem selbst Energie, das andere berge die Gefahr, eine Gewaltspirale in Gang zu setzen. „Wenn mich jemand provoziert, dann denke ich an diesen wunderbaren Kern und beschließe, dass der Mensch es nicht so gemeint hat. Wenn man sagt,  `Das hat mich jetzt verletzt, aber das hast du nicht so gemeint, oder?´, gibt man seinem Gegenüber die Chance, sich zu entschuldigen und die Provokation zurück zu nehmen.“


Die Schülerinnen und Schüler nutzten vielfach die Gelegenheit, im Anschluss an den Vortrag Fragen zu stellen. „Was können wir tun, um zu helfen?“,  wollten sie unter anderem wissen. „Ihr solltet alles radikal Fanatische ablehnen“, so Sumaya Farhat-Naser. Sie forderte die Schüler auf, im eigenen Land politisch aktiv zu sein, denn wenn man sich nicht engagiere, würden wertvolle Errungenschaften wie Freiheit und Demokratie womöglich nach und nach vereinnahmt werden. Über das Internet könnten die jungen Menschen den Kontakt zu Jugendlichen im Nahen Osten suchen. „Wichtig dabei ist es, nicht zu werten und immer im Hinterkopf zu haben, dass jeder Schritt und jeder Vorschlag gut für beide Seiten sein muss: für Israel und für Palästina.“

Weitere Bilder