Vorweihnacht im Mädcheninternat

08.12.2014

Vorweihnacht im Mädcheninternat

Lisa ist eine ehemalige Internatsschülerin des Erdmuth-Dorotheen-Hauses. Wenn sie von der Adventszeit im Mädcheninternat erzählt, kommt sie ins Schwärmen. „Den ersten Advent im Internat zu erleben, ist etwas ganz Besonderes. Das gibt es so nur einmal“, sagt sie lächelnd.
Außerhalb des Internats bleibt vielen Eltern, Lehrern und auch Königsfeldern oft verborgen, welche besondere Stimmung sich im Laufe des ersten Adventssonntags im EDH aufbaut, und wie die Mädchen miteinander die Vorweihnachtszeit erleben.
Lord of the Dance
Morgens um acht hört man das vertraute Knarren der Holzböden bei jedem ansonsten leise gehaltenen Schritt. Die Stufensprecherinnen stehlen sich leise aus ihren Zimmern und treffen sich mit allen Erzieherinnen in einem der Büroräume. Dort wird die Gitarre gestimmt und ein Liedblatt ausgeteilt. „Lord of the Dance“ ist seit Jahren der absolute Hit unter allen Liedern, die an diesem Tag sonst noch gesungen werden.
Nachdem sich alle eingesungen und den letzten Schlaf aus den Augen gewischt haben, geht es auf die Flure. Dort wird dann kräftig gesungen – bis zur letzten Strophe: „Dance, dance, wherever you may be...“ Die Erzieherinnen öffnen die Zimmertüren und begrüßen die Mädchen an diesem Morgen singend mit einem kleinen Teelicht und einem prall gefüllten Beutel mit Weihnachtsleckereien.
Gesungen wird auch für das Küchenpersonal, das an diesem Tag einen wahren Marathon hinzulegen hat.
Eine alte Tradition
Um neun Uhr versammeln sich die Mädchen, die Lust dazu haben, oft noch im Schlafanzug und mit Kuscheldecke im festlich geschmückten Kaffeezimmer zu einer besinnlichen Geschichte.
Bei dieser Gelegenheit erzählt Schwester von der Decken, die Internatsleiterin, dann gerne auch davon, wie es früher im Internat war: Die Kinder, die anfänglich im Internat lebten, verbrachten viele Monate oder gar Jahre von ihren Eltern getrennt. Um diesen Kindern die Zeit vor Weihnachten etwas zu versüßen, wurde der erste Advent zu einem besonderen Festtag erkoren. Die von Heimweh geplagten Kinder sollten auf besondere Weise geweckt werden und an diesem Tag ein festliches Mahl erhalten, bei dem sie auch von den Erzieherinnen und Lehrern bedient wurden – ganz im Sinne der Brüderlichkeit.
Daraus hat sich in unserer Zeit der festliche Adventsbrunch entwickelt. Zu den Klängen von „Macht hoch die Tür“ ziehen die Mädchen in den alten EDH-Speisesaal ein. Dort wird dann ausnahmsweise an einer langen Tafel gespeist, die üppig dekoriert ist. Traditionell gehört auch ein Schokoapfel auf jeden Teller.
Schulpfarrer Bruder Fischer klettert mithilfe einer Leiter zu dem riesigen Adventskranz hinauf, der von der spätbarocken Decke des Saales hängt, um dort die erste Kerze feierlich zu entzünden. Auch er nimmt die Mädchen gedanklich mit sorgfältig gewählten Worten weiter hinein in die Adventszeit.
Vor und nach dem gemütlichen Essen wird wieder musiziert. Jedes Jahr ist es schön mitzuerleben, welches Mädchen sich mit seinem Instrument einbringt – im einen Jahr sind es Flöte, Violine und Cello, im nächsten dafür Saxophon, Fagott oder Sologesang. Fröhlich endet das Festmahl mit „Lord of the Dance“, wobei spätestens beim letzten Refrain ausgelassen getanzt wird.
Eltern und Freunde zu Gast im Haus
Am Nachmittag ergänzen Eltern und Freunde der Internatsschülerinnen die Festgemeinschaft. Beim gemeinsamen Kaffeetrinken erleben die Eltern vielfältige Beiträge, vom Schattenspiel bis zum Gedichtvortrag und von der klassischen Pastorale bis zum Jazzstück. Auch die Schülerinnen aus dem „7. Himmel“ bereiten jedes Jahr einen meist bis zuletzt streng geheim gehaltenen Programmpunkt vor, der von ihrem Leben im Internat handelt oder die Erzieherinnen aufs Korn nimmt.
Abgerundet wird der Nachmittag durch einen Besuch der Hosiannastunde, die von einigen Eltern mit ihren Internatskindern gemeinsam gerne wahrgenommen wird.
Schenken und beschenkt werden
Besonders in der Vorweihnachtszeit setzen sich die Mädchen für Kinder ein, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Derzeit unterstützen sie mit einem Jahresbeitrag das ostindische Mädchen Lanyorin, das aus einer kinderreichen Reisbauernfamilie stammt.
An mehreren Wochenenden wurde gebacken, Marmelade gekocht und gebastelt, um den Weihnachtsstand am ersten Advent reichhaltig zu bestücken. Durch den erfolgreichen Verkauf werden Schulgebühren, Schuluniform und Unterrichtsmaterial für Lanyorin ein weiteres Jahr getragen.
Darüber hinaus haben einige Internatsschülerinnen in diesem Jahr vier Kinder in Osteuropa über die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ beschenkt. Aus dem Überschuss des Weihnachtsstandes kann nun sogar noch ein drittes soziales Projekt unterstützt werden.
Seit Jahren finden sich zudem immer genügend Mädchen aus dem EDH, die bereit sind, die Weihnachtsfeier der ehemaligen Zinzendorf-Mitarbeiter und die Weihnachtsfeier bei den Senioren im Christoph-Blumhardt-Haus musikalisch zu umrahmen.
Aber die Mädchen geben in der Adventszeit nicht nur, sie werden auch beschenkt. Das gemeinsame Wichteln mit den Erzieherinnen hat nun schon auch lange Jahre Tradition und es ist für die meisten ein Riesenspaß, das „Wichtelkind“ möglichst lange im Dunkeln zu lassen, wer denn die dazugehörige „Wichtelmama“ ist. Kurz vor der Abreise in die Weihnachtsferien wird das hoffentlich gut gehütete Geheimnis schließlich gelüftet.
So rückt die Internatsgemeinschaft in der Vorweihnachtszeit merklich zusammen. Das spüren auch die „Neuen“ in jedem Jahr. Nach Weihnachten hat man zueinander gefunden.

Michaela Wedel

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